you can find this page online at http://histogerm.de/

Die Schändung

Sie kamen nachts und hausten wie die Vandalen. 63 Steine wurden umgeworfen, zum Teil brutal aus der Verankerung gerissen, viele abgebrochen, einige niedergetrampelt. Die mutmaßlichen rechtsradikalen Täter verfolgten ihr Zerstörungswerk so lange, wie ihre Kräfte reichten.
Gerade die Sorgfalt, mit der sie das Kriegerdenkmal schändeten, legt den Verdacht nah: Sie wussten, was sie taten!

Um das Ausmaß der Zerstörung zu dokumentieren, aber auch, um noch lebenden Verwandten im Ausland die Nachforschungen zu erleichtern werden hier die umgeworfenen Steine der Reihe nach aufgezählt. Frau Ilse Vogel, die beste Kennerin des Friedhofs, schrieb die Texte. Die Fotos wurden im Mai 2007 aufgenommen. Nachdem bereits im September 2007 die Steine fertig restauriert waren, können auch Bilder der wiederhergestellten Grabmale gezeigt werden.

2 Mit Füßen getreten...

Reihe 14

Für wen die Steine in der Reihe 14 errichtet wurden, lässt sich nicht ermitteln, die Anzahl der Grabsteine stimmt nicht mit den Namen in Listen überein. Der beschädigte Stein in der klassischen Form an der 4. Stelle erinnert an einen Mann oder an eine Frau aus Diespeck oder Pahres, gestorben zwischen 1847 und 1849.

Reihe 15

In der Reihe 15 liegen vier hohe Steine am Boden, nur bei einem Stein ist die Schrift gut erhalten. „Hier ruht sanft und selig Maier Ottenstein von Pahres.“ Mit hebräischen Buchstaben wird Meir ben Schimeon als rechtschaffener Mann gewürdigt, bekannt als Meir Ottenstein, der gestorben ist an einem guten Tag und begraben am 22. Jiar – 1856 steht im Sterberegister der Gemeinde, was allerdings die hebräischen Buchstaben nicht hergeben.

Der zweite Stein in der Reihe stand für Nathan Rosenau, Metzgermeister in Diespeck, und 57-jährig am 4. August 1855 gestorben.

Der dritte Stein galt Löw Frankenau, 77-jährig am 23. Mai 1856 in Diespeck gestorben. Er war verheiratet mit Sara Sternau, sie wohnten im Haus Nr. 109, heute Birkenhof 2, das sein Vater Gedalia Abraham aus Mergentheim (Grab am Ende der 12. Reihe) 1810 erbaut hatte. Er war eines der reichsten Gemeindeglieder im Ort.

Der vierte Stein am Boden könnte für Kehle Rosenfeld gesetzt sein von ihren Uehlfelder Verwandten. Die Witwe wohnte bei Judas Schönthal zur Miete.

Reihe 16

Drei umgeworfene Steine am Anfang der Reihe 16, drei am Ende. Einer davon ist für Moses Roß, einem jener nachgeborenen Söhne, die keine Niederlassung erhielten und deshalb nicht heiraten konnten. Er war 69-jährig am 28. November 1862 im Haus Nr. 67, heute Bamberger Straße 18, gestorben. Seine Eltern waren der Tuchmacher Michael Abraham Roß (Reihe 14) und Breindel (Reihe 11). Die beiden anderen Steine sind nicht zuzuordnen.

Weiter hinten sind es die Gräber von Sophie Heß, Seligmann Heß und Louise Reinstein, die Namen der Frauen waren immer noch deutlich zu lesen.

Sophie Heß war die Ehefrau des Mannes Heß, sie wohnten im Judenhof, wo heute noch am Portal des Hauses Erbaut 1824 und die Initialen MH zu lesen sind. Ihre hebräischen Namen waren Schifla oder Schifele bzw. Menachem (Reihe 12). 1865 ist die 86-jährige Witwe gestorben.

Auf dem Grabstein ihres Sohnes Seligmann Heß daneben ist nichts mehr zu lesen, die Schriftseite stark verwittert. Drei Wochen nach der Mutter ist er 61-jährig gestorben.

Bereits die Form des Steins deutet auf Pahres, der einmal mit Gold ausgefüllte Text enthält noch einen Rest für Lea, darunter steht Louise Reinstein. Als Lea Lehmann heiratete sie den Nachum Reinstein (Reihe 23), 40-jährig ist sie 1865 bereits gestorben an den Folgen einer Geburt. Das Kind folgte fünf Monate später, die Schwiegermutter Rösla Reinstein kurz danach (Reihe 16).

Reihe 17

Zehn Grabsteine liegen in der Reihe 17 am Boden, wahllos in der Reihe umgeworfen. Josef Rosenberg war Ökonom in Diespeck, später handelte er mit Rauchwaren (Pelzwerk oder Zigarren?). Er war 71-jährig am 20. Mai 1866 gestorben.


Der zweite Stein stand für Milka Goldstein, der nächste liegende für Meier Goldstein, das Ehepaar war 1866 bzw. 1867 in Diespeck gestorben, er als 57-jähriger Hausierer, sie an Altersschwäche.


Daneben der Stein für Zardel Frankenau, 76-jähriger Witwer des Abraham, des jüngsten Sohnes des Rabbi aus Mergentheim (Reihe 12). Ihre Nachkommen blieben alle in Diespeck.


Klägliche Sandsteinbrocken blieben von den nächsten, bereits stark verwitterten Stelen. Sie waren für Benjamin Hollerbaum gesetzt, daneben für Jakob Löw Morgenthau, der eine Garküchner in Diespeck, stammte aus Burghaslach, der andere Vorsänger und Religionslehrer in Pahres, wo er auch den Schnittwarenhandel betrieb, 1821 aus Fürth zugewandert. Beide waren 1868 nach einem fast 70-jährigen Leben gestorben.


Brutal wurden die Überreste eines verwitterten Stumpfes umgetreten. Hier liegt Jette Blumenfeld, die Mutter des Diespecker Lehrers begraben, 63-jährig gestorben.

Am Ende drei weitere Steine am Boden, denen die Namen nur anhand von Listen zugeordnet werden können. Heß Reinstein aus Pahres, 1870 als 78-Jähriger gestorben – er hatte als junger Mann den Bau der Synagoge mitgetragen und musste bald ihren Verfall und den der Gemeinde erleben. Seine erste Frau war Louise, seine Mutter Rösla (beide Reihe 16).

Karl Feldmann, der Sohn des Vorsängers Kalman, war 32-jährig offenbar Tbc-krank aus New York zurückgekommen und 1870 in Diespeck gestorben.

Sara Silbermann starb in Pahres 55-jährig irgendwann zwischen 1870 und 1872 an Rückenmarkszehrung – mehr ist im Register nicht vermerkt.

Reihe 18

In der Reihe 18 liegen acht Grabsteine am Boden, beschädigt und mehr oder weniger zerstört. Die schön gestaltete Stele mit neugotischem Maßwerk wurde für Fanny Aal errichtet, eine geborene Erlanger, vielleicht eine Schwester des Isaak Abraham (Reihe 20). An Lungenentzündung ist die 60-Jährige „in der Irrenanstalt in Erlangen“ 1871 verstorben.

Nur drei Grabstellen weiter in der Reihe liegt der Ehemann Salomon Aal, 85-jährig nur zwei Jahre später gestorben. Das ungleiche Paar – sie war 23 Jahre jünger als er – hatte vier Kinder und besaß zehn Jahre lang das Haus Nr. 37 in Diespeck, heute Neustädter Straße 3.

Daneben liegt der stark verwitterte Stein für den 70-jährig verstorbenen Philipp Hornthal. Er war Metzger und Viehhändler in Pahres, wohnte aber 1873 bereits in Neustadt in der Familie seines Sohnes Julius (Reihe24).

Auf dem rötlichen Stein, einer hohen Stele in klassisch abgerundeter Form steht nach sieben Zeilen hebräischer Inschrift: „Hier ruht sanft und selig Ella Fröhlichstein von Pahres – die letzte Beerdigung von dort. Als Witwe hatte sie 1848 in Uehlfeld den Witwer David Fröhlichstein geheiratet. Nur fünf Grabstellen weiter in der Reihe ruht dieser, 86-jährig in Neustadt gestorben.

Babette Kühn war bis vor kurzem noch auf dem Stein zu lesen, Ehefrau des Wolf Kühn, der als Lederhändler einer der ersten Bürger in Neustadt war. Er hatte das Haus am Diespecker Tor erworben. Ihren jüngsten Sohn Ludwig mussten die Eltern drei Jahre vorher begraben (ebenfalls Reihe 18).

Der Name Max Kohlmann ist längst nicht mehr zu lesen. Der Tagelöhner und Viehhändler war 60-jährig an Schwindsucht gestorben. Mit seiner zweiten Frau Karoline hatte er vier Söhne: Gustav Kohlmann (Reihe 24) lebte später in Diespeck im Haus Nr. 61/62, heute Bamberger Straße 12, Sigmund Kohlmann wanderte aus nach San Antonio/USA, Carl Kohlmann (Reihe 23) lebte in Neustadt, und Bernhard Kohlmann wanderte ebenfalls nach Amerika aus. Dort wie auch in England und Südafrika gibt es weitere Nachkommen.

Der Stein war schon abgebrochen, aber wieder zusammengesetzt worden. Sara Rosenau, die 67-jährige Witwe des Metzgers Nathan Rosenau (Reihe 15), war 1876 im Haus Nr. 19 im Judenhof an der Wassersucht gestorben. Ihre Tochter Fanny (Reihe 23) heiratete wieder einen Metzger, den Bernhard Steigerwald.

Dieser Stein war einmal schön gestaltet, ist nun aber stark verwittert. Im August 1877 ist Fanny Frankenau 54-jährig an Entkräftung gestorben. Ihre Schulleistungen hatte der Lehrer in allen Fächern mit „ungenügend“ bewertet. Die Tochter von Abraham und Zardel Frankenau (Reihe 17) lebte vermutlich im Haushalt ihrer Schwester Lea Kohlmann (Reihe 21).

Reihe 19

Gleich die beiden ersten hohen Steine am Anfang der Reihe 19, in der Grabeinfassungen nun den Reihenabstand bestimmen, sind umgeworfen. „Hier ruht in Gott – Frau Adelheid Lein, geb. 12. Mai 1830 – gest. 14. Okt. 1878”, hebräische Buchstaben stehen nur für hier liegt begraben und für die Segensformel unten. Adelheid war die Tochter von Gerson Leitner (Reihe 20) und Lea (Reihe 16), die aus Lonnerstadt nach Diespeck kamen, verheiratet mit Seligmann Lein (Reihe 21). In zwanzig Jahren hatte sie zehn Kinder geboren, darunter 1870 Drillinge, die aber bald starben. Als Todesursache für die 48-Jährige ist Lungenentzündung und Typhus angegeben.

Der Stein daneben war bereits repariert, samt Sockel liegt er nun am Boden. Fanny Dietenhöfer war mit ihrem Mann von Wilhermsdorf nach Neustadt zugezogen, wo ihr Sohn Isaak mit Helene Goldfrank von Pahres verheiratet war (beide Reihe 24). Im Oktober 1879 war die Mutter 76-jährig gestorben.

Auch dieser rötlich-graue Stein war bereits geklebt, in Stücken liegt er nun am Boden. „Hier ruht sanft und selig Abraham Ros von Diespeck – geb. den 2. Okt. 1811 – gest. den 16. Dez. 1879“ steht unterhalb der hebräischen Inschrift, die den Verstorbenen als ehrenwerten Mann rühmt. Seine Eltern waren Michael Ros (Reihe 14) und Breindel.

Auf einem quadratischen Sockel ragte die abgebrochene Säule für ein unvollendetes Leben auf, für den zehnjährigen Lehrerssohn Leo Blumenfeld (Reihe 21), der 1883 begraben werden musste. Ein Herz- und Lungenleiden war die Todesursache. In der Reihe der Erwachsenen sollte er ruhen. Längst ist die Inschriftentafel auf dem Sockel abgefallen und verschwunden.

Reihe 20

  Mit der Reihe 20 beginnt die Zählung nun an der Mauer, um die zeitliche Abfolge beizubehalten. Eine Notiz im Sterberegister weist auf einen Streit hin, nennt aber keine Begründung. Die Beschreibung folgt trotzdem weiterhin dem bisherigen Schema.  

Vom Weg aus gesehen ist es der dritte Stein, der der 1888 verstorbenen Karoline Kohlmann, Ehefrau des Max Kohlmann (Reihe 18) gesetzt wurde. Die weit verbreitete Lungenkrankheit verursachte den Tod der 63-Jährigen.

Ebenfalls stark verwittert ist der kleine Stein für Josef Frankenau, Sohn von Abraham und Zardel Frankenau (Reihe 17) und unverheiratet wie seine Schwester Fanny (Reihe 18), 1886 ist er 70-jährig gestorben.

Weiter hinten sind noch einmal drei Gräber geschändet, die Steine umgeworfen. Sehr stark verwittert ist der Stein für Meier Junker, der 47-jährige Metzger war 1885 gestorben. Daneben der kleine, dicke Stein für Bettie Gottlieb, die Tochter des Kantors, in Jerusalem geboren und nun 13-jährig an Masern gestorben; und der bereits vorher schon beschädigte Stein für Joseph Schönmann, 82-jährig in Diespeck gestorben, mehr als zwanzig Jahre nach seiner Frau Jachas (Reihe 16).

Reihe 21

Mit einem gedrungen wuchtigen Stein neben dem Weg begann bisher die Reihe 21, nun liegt er umgestoßen am Boden. „Hier ruht sanft und selig Maria ...“. Der Hopfenhändler Judas Sternau (Reihe 16) hatte sie 1838 von Ottensoos nach Diespeck geholt, 1892 ist Marie Sternau 78-jährig in Neustadt gestorben, wo sie seit langem bei ihrem Sohn gewohnt hatte.

Dieses Schändung und Kränkung hat er wahrlich nicht verdient! Anselm Blumenfeld ist gleich neben Marie Sternau begraben, der vielseitige Lehrer, Vorsänger und Sekretär diente seiner Gemeinde fast dreißig Jahre lang und scheint überall sehr beliebt gewesen zu sein. Ein Herzleiden zwang ihn zum Aufgeben, das neue Schuljahr nach Ostern begann er nicht mehr, im Juli 1892 ist er 50-jährig verstorben. Seine Witwe Veronika durfte bis zu ihrem Tod 1914 in Diespeck bleiben (Reihe 24).

Daneben liegt der stark verwitterte Stein für Sophie Hornthal, Tochter von Jakob Schulherr (Reihe 12) und Amalie Schulherr (Reihe 14) und Witwe des Philipp Hornthal (Reihe 18). 77-jährig ist sie 1892 in Neustadt gestorben.

Der Stein war bereits repariert, nun ist er mutwillig zerstört worden. Lämmlein Wollenreich aus Kaubenheim war mit seiner Frau Amalia (Reihe 25) nach Neustadt gekommen, die Söhne David und Lazarus waren im Viehhandel erfolgreich und Stützen den Gemeinde bis zuletzt. 1892 ist Lämmlein Wollenreich 74-jährig gestorben.

Daneben das Grab von Abraham Heß, der Stein mit einem massiven Halbrund als Abschluss. Seit drei Generationen war die Familie im Judenhof in Diespeck ansässig, und Abraham war wohl einer der nachgeborenen Söhne, die damals nicht heiraten konnten bzw. durften. Als Privatier heiratete er später wohl doch, denn als er 1892 im Krankenhaus in Neustadt 77-jährig verstarb, war er „verheiratet mit der noch lebenden Adele Flörsheim zu Frankfurt am Main“ – die Flörsheim waren dort erfolgreich im Bankgeschäft.

Von einem mächtigen Sockel wurde diese Stele gestürzt, die für Luise Herold errichtet wurde. Als Lea Singerkron in Schornweisach hatte sie 1836 den Schneidermeister Simon Heiligenbrunn in Pahres (Reihe 13) geheiratet, nach dessen Tod 1846 den aus Sugenheim zugewanderten Tagelöhner Abraham Herold (Reihe 22), mit dem sie später nach Neustadt übersiedelte. Ihr Sohn Bernhard war erfolgreich im Hopfenhandel, und durch die Heirat mit Ida Moßmann waren sie nun auch mit den Familien Kohlmann, Mandelbaum und Dietenhöfer verwandt. Nur drei Jahre nach dieser Hochzeit ist Luise Herold 77-jährig verstorben.

Reihe 22

In der Mitte der Reihe 22 liegt der Stein für Rosa Rosengart am Boden, das schlechte Material war seit langem stark verwittert. Rosa, geborene Vogelbaum, war die zweite Ehefrau des Abraham Rosengart aus Rehweiler (Reihe 25), 37-jährig war sie 1887 gestorben – mehr verrät die Sterbeurkunde nicht.

Das übernächste Grab wurde 1895 für Simon Sichel ausgehoben und mit einer deutlichen Einfassung versehen. Der Stein trägt keine Schrift mehr, die einmal dem Schwiegersohn des Lehrers Leser Hecht (Reihe 25) in Neustadt gegolten hatte. Mit seiner Tochter Lorchen (Reihe 24) war er 1892 nach Neustadt gekommen und nun 67-jährig gestorben.

Weiter hinten liegt der Stein für Abraham Herold am Boden, genau wie der seiner Frau Luise in der Reihe 21. Er war 77-jährig in Neustadt gestorben.

Eine schlicht geformte Stele soll an Marie Seligenbrunn erinnern, 1821 im Judenhof in Diespeck geboren und wohl nie woanders daheim gewesen. Sie lebte im Haushalt des Bruders, später in dem des Neffen Max Seligenbrunn (Reihe 24). 1893 ist sie 72-jährig gestorben.

Reihe 26

In den folgenden Reihen konnten die hohen und schweren Steine den Angriffen widerstehen, nur in der Reihe 26 erprobten die Vandalen noch einmal ihre Kräfte, bevor sie sich dem Kriegerdenkmal zuwandten. „Sophie Neuburger, geb. Guggenheimer – geb. 14. März 1856 – gest. 3. Febr. 1931“ lebte als Witwe im Haushalt ihres Neffen Norbert Sternau in Neustadt, zusammen mit ihrer unverheirateten Schwester Bertha Guggenheimer (ebenfalls Reihe 26). Beide stammten aus dem schwäbischen Osterberg bei Illertissen. Die Grabsteine mit dem markanten Davidsstern zeugen vom jüdischen Selbstbewusstsein in jenen Jahren.

* * * * *

Das Kriegerdenkmal

Das Kriegerdenkmal für die israelitischen deutschen Soldaten wurde am 19. August 1923 im Beisein zahlreicher Gäste und der Bevölkerung feierlich eingeweiht, stand damals als ausführlicher Bericht in der Zeitung. Während der Stadtrat in Neustadt noch um die rechte Form einer Würdigung der Gefallenen in Neustadt stritt, gedachte die Kultusgemeinde auf ihrem Friedhof ihrer gefallenen und vermissten Söhne, betrauerten Eltern und Verwandte hier ihre einst großen Hoffnungen. Alle hatten sie mit dem Realschulabschluss die Befähigung zum Militärdienst erhalten, als Einjährig-Freiwillige wollten sie dem Vaterland dienen. Mussten sie nachträglich im Jahr 2007 noch einmal verhöhnt werden?

Der Diespecker Steinmetz Heinrich Kraft schuf die Anlage, ein schlichtes Mahnmal – kein Denkmal, keinen Ehrenhain wie in Neustadt diskutiert. Die dicken Steinblöcke tragen die Namen der Brüder Simon und Norbert Hecht, Hermann und Leo Wollenreich, der Vettern Justin und Adolf Dingfelder, von Theo Sämann, Fritz Sternau, Friedrich Wilhelm Kraus, Ludwig Stahl und Justin Kohn aus Diespeck.

* * * * *

Kindergräber

Wie eine Herde verschreckter Lämmer kamen sie mir immer vor, diese niedrigen, gedrängt stehenden Grabsteine an der nördlichen Mauer. Klobig dick waren manche, andere dünnwandig und wirkten so eleganter, viele zerfressen und wie ausgehöhlt – nur zwei waren noch zu lesen: Wilhelm Stahl, und mit einiger Mühe, Heinrich Stahl. Völlig ungeordnet hockten sie da – ob das überhaupt die Gräber der Kinder waren? Vielleicht nur Gedenksteine auf diesem Feld. Von den 23 Steinen blieben nur vier stehen...

Die Kindersterblichkeit war ein Problem, Kinderreichtum ein Geschenk. Die Liste der totgeborenen, namenlos und früh verstorben beerdigten Kinder vermittelt eine Ahnung vom Leid der Menschen. Genau 190 Aufzeichnungen waren es in den knapp 50 Jahren zwischen 1846 und 1890, Infektionskrankheiten wie Scharlach, Keuchhusten und Diphtherie, häufig eine geschwächte Lunge, hohes Fieber oder das „Gfraisch“, unerklärliche Muskelkrämpfe. Selten ist der Name des Vaters nur einmal genannt.

Besonders schlimm war es im Jahr 1853 im Monat September. Scharlach brach aus, innerhalb von drei Wochen waren sechs Kinder im Alter zwischen eineinhalb und sechs Jahren zu beklagen und zu begraben. In den Familien Wolf Rosenau starb am 11. September die dreieinhalb Jahre alte Lina, am nächsten Tag ihre sechs Jahre alte Schwester Ricka, und am selben Tag der zehn Monate alte Hirsch im Hause Nathan Sternau, knapp zwei Wochen später die 3 ½-jährige Rosa. Am 7. September war die zweijährige Lina Goldstein gestorben, drei Wochen später der fünfzehn Monate alte Ludwig des Judas Schönthal. Für diese Familien hielt Rosch Haschana, das Neujahrsfest, nicht, was man sich versprach und was man erhoffte.

Der kleine Heinrich Stahl war 1874 als 4 ½-Jähriger einer Lungenschwäche erlegen, ausgerechnet am 2. Tag von Sukkot, dem Laubhüttenfest, an dem die Familien ausgelassen unter offenem Himmel feiern. Fünf Jahre später kam der Tod am 1. Tag von Pesach zum kleinen Wilhelm und „erlöste“ das fast vierjährige Kind von seiner Diphtherie – stieß die Eltern Elias und Ricka Stahl, geb. Erlanger, samt deren Familien in tiefe Trauer. „Hier ruht sanft und selig Wilhelm Stahl – Neustadt“ und die inzwischen verblassten hebräischen Buchstaben enthalten außer dem Namen auch Daten.

* * * * *

Weitere Gräber

Die Goldbuchstaben der Inschrift waren vor einigen Jahren aufgefrischt worden – es gibt also noch Angehörige der Rosenau oder Reis. Ein Grab, das so weit abgelegen ist und außerhalb der Reihen, deutet auf eine kultisch unreine Tote hin. „Hier ruht in Gott – Henriette Rosenau, geb. Reis - * 16. 3. 1867 + 11. 12. 1893 zu Neustadt“ – laut Sterbeurkunde aber 36 Jahre alt gewesen, gab der Ehemann an. Sie ist also 1857 geboren und 1893 gestorben. Der Stein könnte auch auf einem christlichen Friedhof stehen.
Henriette Rosenau hatte 1881 in Walldorf bei Bamberg den Viehhändler Adolf Rosenau (Reihe 24) geheiratet und war mit den Eltern nach Neustadt gekommen. Eine Todesursache ist nicht vermerkt, vermutlich war es die missglückte Geburt eines vierten Kindes.

Auf demselben Feld links vom Eingang wurde schon 1827 für Rickel, der Frau des Salman aus Diespeck, ein Grabstein an der Ecke errichtet. Vermutlich ist sie im Kindbett gestorben und galt deshalb als unrein. Fünf Zeilen lang wird sie gerühmt, die Buchstaben für den Segen sind wie Halt gebend in den Rand gekerbt. Brutal gingen die Täter vor, zerrten Intimes ins Licht – wieder wurde eine Frau geschändet.

* * * * *

7. Mai 2007
Ilse Vogel