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Jüdische Friedhöfe

Was lockt nichtjüdische Menschen auf einen jüdischen Friedhof?
Neben der Stille und dem Grün sind es vermutlich vor allem die alten Steine, oft unverständliche Botschaften für die Ewigkeit, die den Betrachter faszinieren.

Hier finden Sie einige Informationen zur Geschichte der Juden in Franken sowie zum jüdischen Bestattungsritus allgemein.


1 Die Landjuden in Franken

Wie die anderen fränkischen Landjudengemeinden auch, wuchs die Zahl der Mitglieder vor allem durch die Vertreibung und Verfolgung im Bistum Bamberg und der Reichsstadt Nürnberg, sowie in verschiedenen anderen Territorien. Diese Vertreibungen lassen sich zumeist mit einer Art "Entschuldungspolitik" der Landes- bzw. Stadtherren in wirtschaftlichen Notzeiten wie Kriegen und Seuchen erklären.

Die Juden mussten dann in die umliegenden ländlichen Reichsritterschaften und Territorien auswandern, wo sie als Wirtschaftsfaktor und Steuereinnahmequelle bereitwillige Aufnahme fanden und toleriert wurden, solange sie spezielle Abgaben leisteten.
So trieb die Stadt Nürnberg 1499 zum wiederholten Mal ihre Juden aus, zuvor bereits das Bistum Bamberg, Ereignisse, die wohl als Gründungszeitraum für die meisten jüdischen Landgemeinden im Raum Neustadt/ Aisch gelten kann, da die Markgrafen von Bayreuth bzw. Kulmbach die Ansiedlung der Vertriebenen in ihrem Territorium akzeptierten. Dies allerdings verbunden mit der Forderung hoher jährlicher Zahlungen.

Auch in den Jahrzehnten und Jahrhunderten danach kam es wiederholt zu solchen Ausweisungen.

Insgesamt muss man festhaltenen, dass die Juden im damaligen kleinteiligen Franken zwar verhältnismäßig gute Lebensbedingungen hatten, aber ständig mit der Ungewissheit und Angst vor Ausweisungen, plötzlichen Steuerlasten, Verfolgungen und Übergriffen aus der Bevölkerung rechnen mussten.

Erst die zivilrechtliche Gleichstellung im Königreich Bayern (1861) und die spätere Reichsgründung von 1871 machten die Juden in Bayern zu de iure gleichgestellten Bürgern.
Den klassischen Erwerbszweig der Landjuden stellte der Vieh- und Hopfenhandel dar, wobei nur sehr wenige zu Reichtum kamen.


2 Bedeutung jüdischer Friedhöfe

2.1 Historisches Kulturgut

Der antisemitische Furor der Nationalsozialisten, die ja auch im Nürnberger Raum schon in Weimarer Zeit besonderen Rückhalt in der protestantischen Landbevölkerung genossen, hat die kulturelle Blüte des jüdischen Lebens, das sich nach der Emanzipation und rechtlichen Gleichstellung im Deutschen Reich nach 1871 entfalten konnte, jäh und mit aller Gewalt beendet.
Der "Frankenführer" und "Stürmer"- Herausgeber, Julius Streicher trieb Anfang der 30er Jahre im Raum Neustadt sein antisemitisches Unwesen.
In vielen Gemeinden hatte sich aber auch eine Selbstverständlichkeit christlich-jüdischer Koexistenz herausgebildet, die frei war von dumpfen, rassisch aufgeladenen Vorurteilen. Man nahm Anteil am gegenseitigen kulturellen Leben, man störte sich nicht aneinander.
Doch auch wenn es solche Idyllen gegeben hat, konnten sie in dem sich stetig verschäfenden Klima der Ausgrenzung und Verfolgung während der Zeit des Nationalsozialismus nicht bestehen.
Die staatlich geregelte Entrechtung der Juden und schließlich ihre Deportation und physische Vernichtung durch die deutschen Mörder löschten die jüdische Kultur hierzulande fast vollständig aus.
Auch in Diespeck versuchte man durch die teilweise Abtragung der Mauer des jüdischen Friedhofs und die Schändung vieler Grabmale langfristig die Erinnerung an die Juden zu tilgen.

Insofern können die verbliebenen und verwaisten jüdischen Friedhöfe als Kulturdenkmäler gelten, die durch ihr Dasein nicht nur oder primär die Erinnerung an die Verteibung der Juden und die Grauen der Shoa wecken, sondern auch an die Möglichkeit des Zusammenlebens von Christen und Juden in Deutschland.

Jeder Angriff auf jüdische Grabstätten ist daher zugleich ein Versuch, diese erneute, sich allmählich und mühsam entwickelnde Koexistenz zu stören.
Dies macht die Grabschändungen (an sich schon eine ekelerregendes Verbrechen) auf jüdischen Friedhöfen zu besonders perfiden Taten.

2.2 Jüdische Kultstätten

Natürlich gibt es neben dieser politischen Dimension auch eine religiöse.

Auch wenn der Diespecker Friedhof heute nicht mehr als Begräbnisstäte genutzt wird (insgesamt gibt es 111 verwaiste jüdische Friedhöfe in Bayern), so sind die hier begrabenen Toten natürlich für ihre Nachfahren von großer Bedeutung.

Nach jüdischer Vorstellung soll ein Grab bis in alle Ewigkeit bestand haben, der Friedhof ist auch kein düsterer oder negativ besetzter unheimlicher Ort, er gilt vielmehr als "Haus des Lebens" und Ort des jährlichen Gedenkens an die Verstorbenen.

Deswegen ist die Auflassung eines Grabes oder gar eines ganzen Friedhofes für gläubige Juden nicht vorstellbar. Da Grabschmuck oder -bepflanzung nicht vorgesehen sind, gilt der Grabstein als dauernder Gegenstand der Erinnerung und ist zugleich dem Verstorbenen zugehörig, so dass er auch nicht von der Grabstelle entfernt werden darf.

Die Belegung eines Friedhofs folgt festen Regeln. So kann ein Judensäcker wie eine Buchseite gelesen werden (im Hebräischen von rechts oben nach links unten), die Gräber bilden die Buchstaben dieses Buchs des Lebens. Das Tahara-Haus in der Nordwest-Ecke bildet den Ausgangspunkt.

Dies leitet über zu den jüdischen Bestattungsriten, die im Folgenden erläutert werden sollen.


3 Jüdische Bestattungsriten

Viele der jüdischen Bestattungsriten ähneln denen der christlichen Kultur.
Allerdings gibt es auch deutliche Unterschiede. Im Folgenden soll der Ablauf der jüdischen Bestattungszeremonie nachvollzogen werden1, wobei man bedenken muss, dass viele Rituale althergebracht sind und in heutigen progressiveren reformierten jüdischen Gemeinden nicht mehr in dieser Form praktiziert werden.
Zu der Zeit, in der der Friedhof in Diespek genutzt wurde, waren sie aber gang und gäbe, deshalb soll hier in der Vergangenheit geschrieben werden.

3.1 Sterben

Schwer Kranke und Sterbende sollten nach Möglichkeit im Beisein der Familie, die seelischen Beistand leistete, sterben.
Darüber hinaus gab es die "Chewra Kadischa", eine Heilige Gemeinschaft, die man als Begräbnisvereinigung bezeichnen kann. Sie bestand aus besonders frommen Mitgliedern und kümmerte sich um die Bestattung des Toten.
Aber schon in der Sterbestunde sollten ihre Mitglieder dem Toten helfen, indem sie mit ihm das Glaubensbekenntnis sprachen.2

3.2 Tod

Nach Eintritt des Todes legte man den Leichnahm auf den Boden, aus dem der Mensch erschaffen wurde. Ein Teil der "Chewra Kadischa" zimmerte einen schlichten Sarg aus schnell verottendem Holz, während der andere Teil im Taharahaus die Totenwaschung als Symbol für die Reinigung von den Sünden durchführte.
In den Sarg wurde etwas Erde aus dem Heiligen Land gestreut. Der Verstorbene wurde in weiße Tücher gewickelt in den Sarg gelegt.3

3.3 Begräbnis

Nach jüdischem Ritus sollte der Tote schnell, wenn möglich noch am selben Tag bestattet werden.
Bis dahin wurde Totenwache gehalten, um den Verstorbenen nicht allein zu lassen.

Das Begräbnis selbst wurde mit einem schlichten Gottesdienst begangen. Überhaupt ist ein Grundsatz der jüdischen Bestattung die Gleichheit aller, weshalb man auch auf Grabschmuck oder besonders prunkvolle Grabausstattungen verzichtete.
Während des Gottesdienstes gaben die Hinterbliebenen ihrer Trauer durch Einreißen eines Kleidungsstücks Ausdruck.
Der engste Verwandte des Verstorbenen betete mit den Trauergästen das Kaddisch, das man nicht als Totengebet, sondern als Glaubensbekenntnis verstehen muss.4

Bei den Juden war die Feuerbestattung nicht üblich, da der Körper bei der Wiederauferstehung möglichst vollständig vorhanden sein sollte.
Nach der Bestattung wurde im Trauerhaus ein Licht entzündet.5

3.4 Zeiten der Trauer

Die Trauerzeit dauerte sieben Tage, in denen die Familie des Toten in einem Raum auf Schemeln aushielt, betete und die Beileidsbekundungen der Nachbarn annahm.
"Nach dreißig Tagen muss[te] das Leben wieder seinen normalen Gang gehen. Die Trauerzeit [war] vorüber."6
Eine Ausnahme war die Trauerzeit nach dem Tod des Vaters oder der Mutter; sie dauerte ein ganzes Jahr.

Am Jahrestag des Sterbedatums wurde die "Jahrzeit" gefeiert. Die Familie des Verstorbenen traf sich und besuchte zum Totengedenken das Grab.7
Als Zeichen der Erinnerung an die Toten wird bei jedem Besuch ein Steinchen auf den Grabstein gelegt.

3.5 Auferstehungsglaube

Auch wenn der Glaube an eine Auferstehung bei der Ankunft des Messias bzw. bei Anbruch des messianischen Zeitalters fest zum jüdischen Glauben gehört, sind doch die Aussagen über den Zustand in der Zwischenzeit bis dahin recht vage. Jenseitsvorstellungen sind im Judentum wenig ausgeprägt.

So gibt es auch keine ausgeschmückten Höllen-Vorstellungen wie im Christentum. Stattdessen vertraut man auf die Gnade Gottes

Nach der Auferstehung wird der Gläubige in der Olam Haba, der zukünftigen Welt, Gott schauend leben.8

Anmerkungen

0 Ilse Vogel, Der Judensäcker in Diespeck. Begräbnisstätte der Gemeinden in Diespeck und Pahres, später Friedhof für die israelitische Kultusgemeinde Diespeck-Neustadt. o.O. 2003, S. 12.

1 Die Darstellung richtet sich in erster Linie nach Leo Trepp, Die Juden. Volk, Geschichte, Religion. Reinbeck bei Hamburg 1998, S. 273f. und S. 386-390. Falls Ihnen Unstimmigkeiten oder Fehler auffallen, schreiben Sie mir bitte, damit ich die Darstellung verbessern kann.

2 Leo Trepp, S. 386.

3 Leo Trepp, S. 387.

4 Leo Trepp, S. 388ff.

5 Leo Trepp, S. 273, S. 389.

6 Leo Trepp,S. 389.

7 Ebd.

8 Leo Trepp,S. 274.

Quellenangaben

Die Informationen zum Diespecker "Judensäcker" stammen z.T. aus der Berichterstattung der
Fränkischen Landeszeitung (u.a. FLZ Nr. 64 vom 17./18. März 2007, o.S. und aus verschiedenen Quellen im Internet (s. unter Links).
Informationen zum jüdischen Leben in Neustadt und Umgebung finden sich in Max Döllner, Entwicklungsgeschichte der Stadt Neustadt an der Aisch bis 1933. Neustadt 1950, S. 163-173. [Umfassendes, allerdings auch recht altbackenes Standardwerk zur Neustädter Stadtgeschichte]

Weitere verwendete Literatur:
Jim G. Tobias, "Judenfrei!" Nur noch die Steine zeugen vom jüdischen Leben in Franken. Nürnberg 1995. [Katalog einer foto-dokumentarischen Ausstellung zum 60. Jahrestag der Verkündung der "Nürnberger Rassengesetze" mit vielen Bildern jüdischer Friedhöfe in Franken]

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