Der Judensäcker in Diespeck

Begräbnisstätte der Gemeinden in Diespeck und Pahres - später Friedhof für die israelitische Kultusgemeinde Diespeck-Neustadt

Der Beginn

Über hundert Jahre lang mussten Juden in Diespeck und Pahres ihre Verstorbenen nach Ullstadt transportieren, wo die Herren von Seckendorff einen Zentralfriedhof für alle ihnen verpflichteten Juden errichtet hatten. Sieben Haushalte waren es Ende des 17. Jahrhunderts in Diepseck, nur zwei in Pahres. Bereits 1730 waren es 23 Haushalte in Diespeck, und in Pahres schon 1710 mehr als zwei, wie der Bericht über den Brand in der "Schul" belegt.

Ein preußisch aufgeklärter Geist in der Markgrafschaft Bayreuth bot Freiheiten, die Juden andernorts versagt blieben. So konnten 1785 die Gemeinden in Diespeck und Pahres gemeinsam zwei Grundstücke am Dettendorfer Weg erwerben und die Zustimmung des Markgrafen, diese als Begräbnisplatz nutzen zu dürfen. Der beschwerliche Leichentransport nach Ullstand und damit verbundene Steuern und Wegezoll entfielen fortan. Im März 1786 lag die Genehmigung vor, sofort wurden die Mauern als Umfriedung und das notwendige Tahara-Haus errichtet. Im Herbst 1786 fand die erste Beerdigung statt.

Beerdigungen

Das Tahara-Haus ist eine Leichenhalle, wie sie auf christlichen Friedhöfen erst im 19. Jahrhundert üblich wurde. "Gestorben und begraben" am selben Tag war jüdischer Brauch, die Reinigung (tahara) erfolgte unmittelbar nach Eintritt des Todes - nun eben nicht mehr daheim, sondern im Tahara-Haus.

Die Männer trugen die Bahre durch die linke Tür in den Vorraum und dann weiter in den Raum mit dem Stein, auf dem nun die Leiche, mit dem Gesicht nach Osten gerichtet, gewaschen und zubereitet wurde für die Bestattung. Eine Wasseransammlung nebenan lieferte das Wasser, das auf der Feuerstelle in der Ecke erwärmt wurde. In der umlaufenden Rinne auf dem Leichenstein floss das verbrauchte Wasser ab. Eine Leiche wurde nie vollständig entblößt, Männer waren für männliche, Frauen für weibliche Verstorbene zuständig. Während der Reinigung brannte eine Kerze am Kopfende, um der Seele zu leuchten.

War die Trauergemeinde im Vorraum angekommen, begleitete sie unter Gebeten die Einsargung. Auf die einfache Kiste aus Fichtenholz wurde der Deckel gelegt, und man verabschiedete sich, indem man mit einem kräftigen Hammerschlag einen Nagel ins Holz trieb. Nun wurde die Türe im Reinigungsraum geöffnet, und "mit den Füßen voran" trug man die Leiche hinaus in das Haus des Lebens, den Bet hachajim.

Dem Sarg folgten die Männer, mit Abstand die Frauen. Die trauernden Angehörigen erkannte man an dem kleinen Riss am linken Halsausschnitt des Gewandes (oder des Untergewandes), dem Zeichen der Trauer. Am Grab gab es keine Rede, nur ein kurzes Ritual. Man warf drei Schaufeln Erde ins Grab, denn von Erde genommen wird der Mensch wieder zu Erde.

Anschließend umwandelten sie siebenmal das offene Grab und wandten sich dann zum Gehen.

Die Trauergemeinde bildete ein Spalier, und die Trauernden verließen den Ort der ewigen Ruhe - nicht ohne vorher etwas Gras ausgerissen zu haben als Ermunterung für die Lebenden, denn sie sollen grünen wie das Gras auf Erden (Psalm 72,16). Auf einige Grabsteine legte man Steinchen - Steine sind Symbole seit der Wüstenwanderungszeit, sind Mahnmale und Gedenkstätten. Der Volksglaube bildete manchen Aberglauben aus, und Christen machten sich ihren eigenen Reim auf die ihnen fremden Bräuche.

Die Beerdigung war der letzte Liebesdienst an einem Gemeindeglied. Verantwortlich war die Chewra Kaddischa, eine Art Beerdigungsverein, den in Diespeck und Pahres wohl eher die Nachbarschaft bildete, und der wohl nicht organisiert war wie in großen Gemeinden. Der Vorsänger und Lehrer leitete die Zeremonie, das Ritual war allen geläufig, ein Rabbiner war nicht notwendig.

Es kam die Zeit der Trauer. In der Trauerwoche verließ man das Haus nicht, wurde aber täglich besucht. Nach 30 Tagen war die Trauerzeit beendet, jedoch nicht für einen Vater oder für eine Mutter, für sie galt das Trauerjahr. Am Todestag wurde im Haus das Jahrzeitlicht entzündet, und wer immer das Grab besuchte, hinterließ dort ein Steinchen zum Gedenken.

Die Belegung des Friedhofs

Die Belegung eines Friedhofs erfolgt nach festen Regeln, die man im Judensäcker beachtete. Wie eine Buchseite gelesen wird - im Hebräischen von rechts nach links und Zeile für Zeile von oben nach unten -, so werden die Reihen belegt, und jedes Grab ist ein Buchstabe, der den Text fortschreibt im Buch des Lebens. Gleich links vom Tahara-Haus und dicht an der Mauer befindet sich das erste Grab. Drauf steht:

Hier liegt begraben Der sehr alte und weise Herr Eitzik, Sohn des Schloss von Pahres, gestorben und begraben am Donnerstag, 4. Cheschwan 547 (nach dem bürgerlichen Kalender am 26. Oktober 1786) und dies ist das erste Grabmahl

In chronologischer Reihenfolge wurden die Toten aus Diespeck und Pahres bestattet. Grabsteine waren von unterschiedlicher Qualität, weswegen sie heute in unterschiedlichem Zustand sind. Manche Inschriften sind deutlich zu lesen, andere vollständig verwittert oder die bearbeitete Steinschicht ist abgefallen. In den Reihen IV bis XIV sind viele Grabsteine abgebrochen - auf natürliche Weise oder mutwillig zerstört? Es lässt sich wohl nicht mehr klären.

Die Steine

Hebräisch beschriftete Steine verraten nur Vornamen, dazu den Vornamen des Vaters bzw. des Ehemannes, den Wohnort, das Sterbedatum, und in der letzten Zeile wünscht man Ihre/Seine Seele sei eingebunden in das Bündel des Lebens. Ein Zusatz mit deutschen Buchstaben ist zum ersten Mal am Ende der Reihe XI zu finden. Es ist Hirsch Birgstein von Pahres, der langjährige Barnos und Kultusvorsteher, gestorben 1836.

Erstaunlich ist der Formenreichtum der Steine. Die schlichte Schildform wird phantasievoll variiert, Größe, Stärke und Material lassen auf religiöse Tradition, auf Wohlstand oder Familiensinn schließen, auch allgemein gesellschaftliche Veränderungen spiegeln sich in der Sepulkralkultur.

Es finden sich keine typischen Symbole wie Segenshände eines Priesters, das Beschneidungsmesser des Mohel, das Widderhorn des Schofarbläsers - nur im späten 19. Jahrhundert zweimal die Levitenkanne, die Wasserkanne für das Hände waschen des Priesters. In der Reihe XVI ist ein Pflanzenornament auf dem Grabstein, und in der vorletzten Reihe eine Mohnkapsel als Symbol für ewigen Schlaf. In der Reihe VIII erinnern die Kronen mit Zacken oder aus Bogen an einen Vorsänger, den Rav oder Rabi.

Die Emanzipationsgesetze, das sogenannte Judenedikt von 1813, das Juden die - wenn auch eingeschränkten - Bürgerrechte gewährte, griff in Diespeck erst um 1850, in Pahres bereits 1817 bzw. 1836, als die Führung von amtlichen Registern verpflichtend wurde. Nun sieht die Friedhofsordnung einen Mindestabstand zwischen den Reihen vor, Grabeinfassungen werden gelegt, die Zwischenräume in den Reihen verringert, die Grabsteine auf feste Sockel gestellt - der gestalterischen Phantasie und Akkulturation sind keine Grenzen gesetzt.

Ab Reihe XVIII heißt es immer öfter "aus Neustadt". Seit 1865 waren Familien aus umliegenden Dörfern zugezogen, besonders viele auch aus Pahres, so dass sich diese Gemeinde 1877 faktisch von selbst auflöste, wie das Protokoll vermerkt.

Geschichten einzelner Grabmäler

Mit der Reihe XX tritt eine Änderung ein. Die Belegung beginnt nicht mehr am Weg sondern an der Mauer. Lehrer Blumenfeld versah den Eintrag ins Sterberegister mit einem Kommentar: Der 41-jährige Wolf Heiligenbrunn "wurde in Abwesenheit der Kultusverwaltung und gegen den Willen des Lehrers Blumefeld außer der Reihe an der Mauer beerdigt" - und brachte so die Reihenfolge durcheinander. Der Grabstein ist entweder nicht zu identifizieren oder verschollen - oder es wurde ihm keiner gesetzt.

So wie Max Sonnenstein, dem geistig behinderten Sohn des damals bereits verstorbenen Kultusvorstehers. In der Reihe XX klafft zwischen den Grabsteinen für Gerson Leitner und Josef Rosenau eine Lücke. Der 43-Jährige hatte sich in der Aisch ertränkt, seine Leiche wurde in der Nähe der Klobenmühle geborgen. Sonnenstein ist ist in der Reihe XIX begraben, und zwar zwischen Joel Moses Sternbach und Julius Schönthal.

Ein besonderes Symbol sind halbe bzw. abgebrochene Säulen statt Grabsteine. Sie erinnern an ein abgebrochenes Leben wie das des 10-jährigen Leo, Sohn des Lehrers Blumenfeld in der Reihe XIX oder des 26-jährigen Leonhard Steigerwald in der Reihe XXII.

Schon 1855 finden sich keine hebräischen Schriftzeichen mehr auf einem Grabstein in der Reihe XIV, der erste Davidsstern ziert in Reihe XXIV den ersten Stein am Weg, in der Reihe XXV das erste Doppelgrab. Auf den Doppelgräbern in Reihe XXVI und XXVII fehlt der Name der Ehefrau bzw. des Ehemannes. Ein Blick auf die Jahreszahl erinnert an eine böse Zeit und lässt ein schlimmes Ende vermuten.

Nicht in diese Zeit gehört der Wunsch "Friede seiner Asche!" Er bezieht sich vielmehr auf Genesis 18, 27, als Abraham sinngemäß sagte: Ich wage es, mit Gott zu reden, obwohl ich nur Erde und Asche bin.

Das Mahnmal

Das Mahnmal für die gefallenen Soldaten des Weltkrieges von 1914 - 1918 wurde im Herbst 2002 restauriert und von Buschwerk befreit, so dass nun alle Namen gut zu lesen sind. Am 19. August 1923 wurde es eingeweiht "zum Gedenken an die fürs Vaterland gefallenen Söhne". Es waren Söhne von Kaufleuten, des Kantors und des Direktors der Handelsschule. Bürgermeister Bankel, Kultusvorsteher Lehmann und Stadtrat Dingfelder verwahrten sich in ihren Reden gegen den dreist werdenden antisemitischen Geist der Zeit. Der ausführliche Zeitungsbericht ist erhalten.

Die Gräber abseits der Reihen

Neben dem Mahnmal befinden sich vermutlich die Kindergräber. Die vielen kleinen Steine zeugen auch von zeitweise hoher Kindersterblichkeit, etwa bei Masern, Keuchhusten oder Scharlach.

Danben gibt es ein freies Feld - es ist der Ort, an dem totgeborene oder namenlos verstorbene Kinder und bestimmt auch zu früh geborene beerdigt wurden, denn begraben wurde alles, was als Mensch begonnen hatte.

Die Steine rechts vom Eingang wurden Frauen gesetzt, die "unrein" starben, zum Beispiel während oder kurz nach der Geburt. Der erste Stein neben dem Tor trägt die Jahreszahl 1786 und enthält das Wort Diespeck, der Stein an der Ecke erinnert an die junge Frau Rickel. Auf einem anderen ist Sara Hollerbaum zu lesen. Das Grab der Henriette Rosenau befremdet, denn nach jüdischem Brauch wird ein Grab nicht bepflanzt.

Rätselhaft bleibt das kleine Feld zwischen Eingang und Tahara-Haus, weder die vorhandenen Steine noch schriftliche Aufzeichnungen geben Hinweise.

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Im Vergleich zu anderen jüdischen Friedhöfen gilt der Judensäcker als gut erhalten und als sehr gepflegt. Wegen seiner geringen Größe mit etwa 400 Grabstätten ist er überschaubar, obwohl ihn die hohen Bäume eher zu einem Park ausgestalten.

Gut 150 Jahre lang, genau von 1786 bis 1938, bot er den Gläubigen Asyl, denn von ihrem Wohnrecht im Verheißenen Land konnten sie lebenslänglich nur träumen. Mit dem Blick nach Osten, dorthin wo das irdische Jerusalem liegt, erwarten sie den Messias und dass er hierher kommt ins Haus des Lebens in Diespeck.

Im Januar 2010
Ilse Vogel

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Weiterführende Literatur:

Ilse Vogel, Der Judensäcker: Begräbnisstätte der Juden in der Diespecker Flur 1785-1938. Eine Dokumentation jüdischen Lebens im mittleren Aischgrund. Neustadt/Aisch (Schmidt) 2010 (ISBN: 978-3-87707-787-0).

Ilse Vogel, Koscher oder trefa - Wie das Neben- und Miteinander von Juden und Christen in Diespeck zweihundert Jahre lang eine Dorfkultur schuf - erhältlich bei der Gemeinde Diespeck

Ilse Vogel, Vom Land in die Stadt - 200 Jahre Judenschaft zu Pahres und 70 Jahre jüdisches Leben in Neustadt an der Aisch - erhältlich im Buchhandel